Nicht erst seit dem Angriff auf die Republik Armenien am 13.09.2022 sollte die durch die EU geschlossene Absichtserklärung zur Steigerung der Gaslieferungen aus Aserbaidschan ein Warnzeichen für Unternehmen und Menschen in Deutschland sein. Rote Flaggen (Red-Flags) Lassen Sich gemeinhin als Warnzeichen Verstehen, Die genutzt werden, um auf wichtige Probleme und Risiken hinzuweisen und um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen.

Insbesondere im Risikomanagement von Organisationen gelten diese als Anzeiger für besonders risikobehaftete Sachverhalte oder Begebenheiten im Rahmen unternehmerischer Tätigkeiten. Um einen finanziellen Schaden oder den Verlust des guten Rufes vorzubeugen bzw. zu vermeiden, müssen diese Anzeichen daher Immerwährend beobachtet, neu bewertet und dessen Eintritt bestenfalls präventiv entgegengewirkt werden.

Im Juli 2022 hat die EU mit Aserbaidschans Präsident Aliev eine Absichtserklärung zur Erhöhung der Gaslieferungen geschlossen. Diese Absichtserklärung wurde in den Medien durch eine formale Beurkundung in Baku durch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliev repräsentiert. Geplant ist nunmehr, dass in den nächsten 5 Jahren doppelt soviel Gas vom ehemaligen Sowjetstaat Aserbaidschan geliefert werden soll als ursprünglich vereinbart. Grund dafür scheint die verknappte Verfügbarkeit an Gas in den EU-Staaten zu sein, die aufgrund der anhaltenden Sanktionen gegen Russland besteht. Bislang verkaufte Aserbaidschan pro Jahr etwa 8,15 Mrd. Kubikmeter Gas an die EU. Aufgrund der geschlossenen Absichtserklärung soll die Menge an Gaslieferung im kommenden Jahr bereits auf 12 Mrd. erhöht werden (Tendenz steigend). dabei soll bis 2027 insgesamt 20 Mrd. Kubikmeter Gas geliefert werden. Zum Mengenverhältnis: 2021 wurden insgesamt ca. 155 Mrd. Kubikmeter Gas aus Russland in die EU-Staaten geliefert und deckten dabei etwa 40 % des bestehenden Bedarfes ab.

Aserbaidschan blickt dabei auf eine Historie im Geschäftszweig der Förderung und des Handels mit Energie zurück. Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die 1992 gegründete Staatliche Energiegesellschaft der Republik Aserbaidschan (State Oil Company of Azerbaijan Republic = SOCAR). Fusioniert aus den staatlichen Mineralölkonzernen Azerineft und Azneftkimiya, wurde sie in den 1990er Jahren zunächst und vordergründig für die Versorgung Aserbaidschans mit Öl und Gas genutzt, was von 1994 bis 2003 u.a. durch Ilham Aliev verantwortet wurde. IN in dieser Zeit hatte er das Amt des Vizepräsidenten des unternehmens inne, bis er 2003 seinen Vater H. Aliev als Präsident des Landes ablöste.

In bzw. ab den 2000er Jahren wurde SOCAR an verschiedenen Stellen mit Korruption in Verbindung gebracht. Im Jahr 2011 bewertete Transparency International weltweit die implementierten Antikorruptionsmaßnahmen von 44 Erdölfirmen. SOCAR belegte dabei den letzten Platz, ein Jahr, bevor Ilham Aliev durch das Organized Crime and Corruption Reporting Project zum korruptesten Mann des Jahres gewählt wurde. In den darauffolgenden Jahren war kaum bzw. keine Verbesserung der Geschäftspraktiken von SOCAR zu verzeichnen, wie dies u.a. die vorgeworfene Involvierung der Energiegesellschaft im Mordfall der maltesischen Journalistin D.C. Galizia zeigt. Auch das Gebaren des Präsidenten Aliev und der weiteren hochrangigen Staatsbediensteten während des dritten Krieges um Berg-Karabach lässt die Aussage von Ursula von der Leyen, bei Aserbaidschan würde es sich um einen „vertrauenswürdigen Partner“ der EU handeln, mehr als fragwürdig erscheinen. In Anbetracht der Vergangenheit von SOCAR und den jüngsten Ereignissen, sollte nicht nur eine rote Fahne gehisst werden, sondern vielmehr ein Flaggenmeer im Wind wehen. Der Boykott von Gaslieferungen aus Russland soll primär darauf gerichtet sein, ein Zeichen gegen Autokratie zu setzen und die Finanzierung eines Angriffskrieges zu stoppen. Zeichen, die bisher gegen Aserbaidschan – trotz ähnlicher Sachlage – fehlten bzw. nicht gesetzt wurden und eine Doppelmoral aufzeigen, die der EU und den Bürgerinnen und Bürgern in der EZ nicht gutstehen.

Ferner wird zum 01.01.2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) in Deutschland in Kraft treten. SOCAR ist das staatliche Energieunternehmen der Republik Aserbaidschan und unterstützt die staatliche Politik der Vertreibung der Armenier aus Berg-Karabach sowie den Angriffskrieg gegen die Armenier. So sieht § 2 II Nr. 10 LkSG ein Verbot der widerrechtlichen Zwangsräumung (…) und § 8 LkSG die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus zur Meldung von Menschenrechtsverletzungen für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden vor. Insbesondere für in Deutschland ansässige Energieunternehmen sollte Gas aus Aserbaidschan eine besondere Red-Flag sein. So kann der Vertrieb von Rohstoffen aus einer moralisch fragwürdig geführten Autokratie nicht nur den eigenen Ruf massiv schädigen, sondern durch das LkSG können möglicherweise auch Ansprüche geltend gemacht werden, die einen finanziellen Schaden zur Folge haben.