Angela Tovmasyan, Max Bergmann

Nachdem Deutschland im zweiten Weltkrieg geschlagen wurde und dessen Ökonomie am Boden lag, gelang es der Bevölkerung der Bunderepublik Deutschland durch verschiedene politische Maßnahmen und Investitionen wieder eine funktionierende und florierende Volkswirtschaft aufzubauen. Während das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1970 bei umgerechnet ca. 361 Milliarden Euro lag, stieg dieses in den nächsten 30 Jahren auf bereits 2.109 Milliarden Euro.[1] Knapp weitere 20 Jahre später, im Jahr 2019, betrug das deutsche Bruttoinlandsprodukt insgesamt 3.449 Milliarden Euro und lag pro Einwohner bei 41.508 Euro.[2] Deutschland war somit 2019 die viertstärkste Volkswirtschaft weltweit.[3] Ebenfalls den vierten Platz belegt Deutschland nach der Analyse des Stockholm International Peace Research Institut hinsichtlich des Exportanteils am weltweiten Handel mit Waffen in den Jahren 2015 bis 2019.[4] Das Ranking wird angeführt von den USA mit einem Anteil von 36 Prozent, gefolgt von Russland mit 21 Prozent. Vor Deutschland mit einem Anteil von 5,8 Prozent an allen globalen Waffenexporten, liegt nur noch Frankreich mit einem Anteil von 7,9 Prozent.[5] Seit dem Jahr 1999 erscheint der jährliche Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter (auch: Rüstungsexportbericht).

In diesem werden alle Güter und Technologien gelistet, die nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung in die Kategorie der Kriegswaffen fallen und die aus Deutschland ausgeführt werden. Für die Ausfuhr  solcher Kriegswaffen muss entsprechend durch Einzelfallprüfungen eine Genehmigung zur Ausfuhr durch den Bundessicherheitsrat eingeholt werden. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 11.479 Einzelanträge genehmigt, welche einen Gesamtwert von ca. 8 Milliarden Euro aufweisen. Im Weiteren wurden 2019 insgesamt 75 Sammelausfuhrgenehmigungen in einem Wert von ca. 500 Millionenen Euro bewilligt.[6] In Relation zum Gesamtvolkwirtschaftlichen Ergebnis erscheint der Anteil verschwindend gering. In absoluten Zahlen jedoch sind es 8,5 Milliarden Euro an genehmigten Kriegswaffen, Technologien und weiteren Rüstungsgütern, deren Ausfuhr Deutschland in 2019 legitimierte. Ferner wurden 61 Anträge zur Erteilung auf Ausfuhrgenehmigung mit einem Handelsvolumen von etwa 15,9 Millionen Euro abgelehnt, wovon insgesamt 14,6 Millionen Euro das Empfängerland Türkei betrafen.[7] Genehmigt hingegen wurden in 2019 187 Anträge zur Ausfuhr in die Türkei mit einem Gesamtwarenwert von 31.618.242 Euro. Darunter:  Handfeuerwaffen (A0001)[8], Munition (A0003), Bomben, Torpedos und Flugkörper (A0004), Feuerleitanlagen (A0005), militärische Ketten- und Radfahrzeuge (A0006), ABC-Schutzausrüstung, Reizstoffe (A0007), Explosivstoffe und Brennstoffe (A0008), Kriegsschiffe (A0009), militärische Luftfahrzeuge /-technik (A0010), militärische Elektronik (A0011), ballistische Schutzausrüstung (A0013), Halbzeug zur Herstellung von bestimmten Rüstungsgütern (A0016), Herstellungsausrüstung zur Produktion von Rüstungsgütern (A0018), militärische Software (A0021) sowie Technologie (A0022).

Demnach wurden, gemessen am Warenwert, etwa ein Drittel der Anträge zur Ausfuhr von Rüstungsgütern in die Türkei abgelehnt.[9] Dass die Türkei ein lukrativer Abnehmer von Rüstungsgütern für Deutschland ist, zeigen hingegen auch die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung der letzten Jahre: Im Jahr 2018 wurden Genehmigungen mit einem Gesamtwarenwert von ca. 12,9 Millionen Euro bewilligt (58 Anträge)[10], was gemessen an den Jahren 2019 und 2017 mit einem Gesamtvolumen von ca. 34,2 Millionen Euro (138 Anträge)[11] vergleichsweise gering erscheint. In 2016 belief sich das Handelsvolumen in Summe sogar auf mehr als in den darauffolgenden drei Jahren zusammen: Es wurden 213 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 83,9 Millionen Euro genehmigt.[12]

Somit wurden von 2016 bis 2019 Genehmigungen mit einem Gesamtwarenwert von etwa 163 Millionen Euro zur Ausfuhr an die Türkei bewilligt. Dabei hat sich die Bundesregierung in ihren Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 26. Juni 2019 verpflichtet, keine Kriegswaffen und Rüstungsgüter an Empfängerländer zu genehmigen, welche  die internationalen Verpflichtungen, die sich aus dem humanitären Völkerrecht ergeben, missachten.[13] Dass die Türkei im Zuge militärischer Auseinandersetzung das Völkerrecht nicht unbedingt als geltenden Leitsatz verfolgt, zeigt dabei unter anderem deren Handeln in Syrien.[14] So mehrten sich vor allem seit dem 2. Quartal in 2020 auch die Parlamentsanfragen hinsichtlich deutscher Kriegswaffenlieferungen in die Türkei: So wurde am 02.07.2020 eine Anfrage zum Export von Panzerabwehrraketen und Technologierechten zu deren Herstellung in der Türkei beantwortet.[15] Dabei standen insbesondere Gefechtsköpfe für Panzerlangstreckenabwehrraketen LRAT (Long Range Anti Tank Missile) und für Panzermittelstreckenraketen MRAT (Medium Range Anti Tank Missile) im Fokus der Anfrage. Auskunftsgemäß wurden im Jahr 2014 10 Bausätze für Gefechtsköpfe LRAT erteilt. Ferner wurden seit 2010 6 Genehmigungen zur Ausfuhr von Technologie für Gefechtsköpfe LRAT und MRAT in die Türkei erteilt. So vermuten einige Experten, die Türkei habe die deutsche Technik zur eigenen Weiterentwicklung von Sprengköpfen genutzt, mit welchen sie ihre Drohnen ausrüstet.[16]

An Art und Umfang der deutschen Beteiligung an türkischen Drohnen war auch die Abgeordnete Sevim Dagdelen interessiert, deren Anfrage zur deutschen Rolle bei der militärischen Ausrüstung und Rüstungsproduktion der Türkei am 06.07.2020 beantwortet wurde.[17] Im offiziellen Antwortschreiben wird dargelegt, dass in den vergangenen Jahren insbesondere Technologie bzw. technisches KnowHow im Bereich der Produktion technischer Hilfsmittel für Rüstungsgüter aus Deutschland in die Türkei verkauft wurde. Frau Dagdelen verlangte dann offenbar detaillierte Informationen, auf die am 17.08.2020 eine Antwort folgte.[18]  Die Abgeordnete stellte 20 Fragen über die Produktion von Kampfdrohnen in der Türkei und der Rolle Deutschlands. Der Antwort vorneweg erfolgte der Verweis, dass sich sämtliche Antworten nur auf die Datenlage jener Güter berufen, welche zweifelsfrei für Drohnen verwendet wurden. Ob weitere Güter in die Türkei geliefert wurden, die sich ebenfalls für die Verwendung in oder mit Drohnen verwenden lassen, könne hingegen nicht beantwortet werden. Weiterhin relativ ungenaue Antworten erhielt Frau Dagdelen auf spezifische Fragen zur Beteiligung von Firmen wie Numerics GmbH (Frage 17) oder TDW Wirksysteme GmbH (Frage 19).

Festgehalten werden kann jedoch, dass sich deutsche Unternehmen zwischen 2002 und 2018 mit Bauteilen und Ausrüstung im Warenwert von ca. 12,8 Millionen Euro am Aufbau türkischer Drohnen beteiligt haben. Am 19.10.2020 wurde die Anfrage des Abgeordneten Stefan Keuter beantwortet, in welcher dieser hinterfragte, ob der zuvor genannte – gemeint ist der Einsatz im Konflikt um die Region Berg-Karabach[19] –  Drohneneinsatz mit Bauteilen deutscher Hersteller gegen das seit 1992 bestehende Waffenembargo der OSZE verstoße.[20] Auskunftsgemäß liegen der Bundesregierung keine über die Medienberichte hinausgehenden Informationen zum Einsatz gegen die Zivilbevölkerung vor. Ferner erhält derselbe Abgeordnete am 30.10.2020 auf die spezifischere Frage eine Antwort, ob der genannte Drohneneinsatz mit Bauteilen deutscher Hersteller, nach Kenntnissen die über die eigenen Kenntnisse hinausgehen und gegebenenfalls auf Geheimdienstinformationen beruhen, gegen das seit 1992 bestehende Waffenembargo verstoße. Die Bundesregierung lässt in ihrer Antwort verlautbaren, dass keine Waffen oder Rüstungsgüter an die in der „Karabach-Region kämpfenden Kräfte“ geliefert wurden, welche der Maßgabe des OSZE-Beschlusses wiedersprechen würden.[21] Im Weiteren existieren diverse Antworten auf Anfragen, die Rüstungslieferungen aus dem maritimen Bereich (insbesondere U-Boote und Torpedos) an die Türkei in den vergangen Jahrzenten thematisieren.[22] Obwohl für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern strenge Auflagen gelten, scheint es, als müsse deren konkrete Verwendung erst in einer retrospektiven Prüfung festgestellt werden. Insbesondere im Hinblick auf das geopolitische Agieren der Türkei in den letzten Jahren und dem entsprechenden Gesamthandelsvolumen an Rüstungsgütern sollte die Bundesregierung auf eine dezidierte Aufklärung hinwirken und bei festgestellten Verstößen entsprechende Maßnahmen ableiten sowie Sicherungsmechanismen zu deren Einhaltung implementieren.


[1] Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis). 2020. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Bruttoinlandsprodukt ab 1970. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/bruttoinland-vierteljahresdaten-pdf.pdf?__blob=publicationFile (zueltzet abgerufen am 08.11.2020)

[2] Vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/bip-bubbles.html (zuletzt abgerufen am 04.11.2020)

[3] Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157841/umfrage/ranking-der-20-laender-mit-dem-groessten-bruttoinlandsprodukt/ (zuletzt abgerufen am 04.11.2020)

[4] Vgl. SIPRI Yearbook 2020. Armaments, Disarmament and International Security. Summary. Abrufbar unter: https://www.sipri.org/sites/default/files/2020-06/yb20_summary_en_v2.pdf (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[5] Vgl. Ebd. S. 13

[6] Vgl Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter 2019. Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/ruestungsexportbericht-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=18 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[7] Vgl. Ebd.

[8] Bei den folgenden Bezeichnungen handelt es sich um sogenannte Ausfuhrlistenpositionen (AL-Positionen) der Güterliste des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Die hier und folgend genannten sind dabei in Teil I A – Liste für Waffen, Munition und Rüstungsmaterial zu finden. Abrufbar unter: https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_gueterlisten_ausfuhrliste_abschnitt_a.pdf?__blob=publicationFile&v=10 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[9] Vgl Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter 2019

[10] Vgl Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter 2018

[11] Vgl Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter 2017

[12] Vgl Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter 2016

[13] Vgl. Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 26. Juni 2019 abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/politische-grundsaetze-fuer-den-export-von-kriegswaffen-und-sonstigen-ruestungsguetern.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[14] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/syrien-maas-tuerkei-1.4649101 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[15] Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Agnieszka Brugger, Margarete Bause, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betr.: Export von Panzerabwehrraketen und Technologierechten zu deren Herstellung in die Türkei BT-Drucksache: 19/19787 abrufbar unter:  https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/19-19787.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zu letzet abgerufen am 08.11.2020)

[16] Vgl. https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/drohnen-tuerkei-100.html (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[17] Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Andrej Hunko weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Betr.: Deutsche Rolle bei der militärischen Ausrüstung und Rüstungsproduktion der Türkei BT-Drucksache: 19/19830 Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/19-19830.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[18] Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Betr.: Die Produktion von Kampfdrohnen in der Türkei und die Rolle Deutschlands BT-Drucksache: 19/21430 Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/19-21430.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[19] Vermutung der Autoren

[20] Vgl. Schriftliche Anfrage an die Bundesregierung im Monat Oktober 2020 Frage Nr. 137. Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/10/10-137.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)

[21] Vgl. Ebd.

[22] Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Betr.: Die militärische Aufrüstung der Türkei im maritimen Bereich und die Rolle DeutschlandsBT-Drucksache: 19/23149. Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/11/19-23149.pdf?__blob=publicationFile&v=6 sowie Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat September 2020 Frage Nr. 263 abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/09/9-263.pdf?__blob=publicationFile&v=4 sowie Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat August 2020 Frage Nr. 516 abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2020/09/8-516.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 08.11.2020)