Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern und anderen Minderheiten im Osmanischen Reich: Die Faktizität des Genozids ist weder bestreitbar noch verhandelbar.

Heute, am 24. April 2024, jährt sich der Völkermord an den Armeniern zum 109. Mal. Es geht um die systematische Ermordung von mehr als 1,5 Millionen Armeniern und die Vertreibung weiterer Millionen durch das Osmanische Reich von 1915 bis 1923. Viele andere religiöse und ethnische Minderheiten im Osmanischen Reich erlebten ähnliche Schicksale, unter ihnen die Griechen, Assyrer und Chaldäer. Mehr als ein Jahrhundert nach dem Völkermord an den Armeniern ist es unsere Verantwortung, der Verlorenen zu gedenken, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu fordern und die Welt über das Verbrechen des Völkermords aufzuklären.

Die Fakten des Völkermords sind schrecklich und von Historikern unbestritten. Sie wurden etwa von amerikanischen und deutschen Diplomaten aufgezeichnet, die damals im Osmanischen Reich dienten und in offiziellen Depeschen die Vernichtung der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich bezeugten; ein Verbrechen, das damals keinen Namen hatte.

Und obwohl es keinen Namen gab, zweifelten die damaligen Beobachter nicht daran, dass sie Zeuge eines Verbrechens industriellen Ausmaßes waren. Der Botschafter der USA im Osmanischen Reich, Henry Morganthau, erinnerte sich später: „Ich bin zuversichtlich, dass es in der gesamten Geschichte der Menschheit keine so schreckliche Episode wie diese gibt.“

Erst Jahrzehnte später prägte Rafael Lemkin, ein Holocaust-Überlebender, den Begriff „Völkermord“, um die Gräueltaten im osmanischen Reich zu beschreiben. Das Verbot des Völkermords als zwingende Norm (ius_cogens) des Völkerrechts wurde sodann in die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (UN-Völkermordkonvention) aufgenommen. Im deutschen Recht ist Völkermord als Straftat gegen das Völkerrecht in § 6 des Völkerstrafgesetzbuchs kodifiziert.

Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches hat den Völkermord an den Armeniern nicht nur nicht anerkannt. Ihre Regierungsvertreter versuchen das Verbrechen regelmäßig mit provokativen und revisionistischen Aussagen – zuletzt geschehen durch Präsident Erdogan am 22. April 2024 – zu relativieren und Völkermordtäter zu verherrlichen, was als Verunglimpfung des Andenkens der Opfer des Genozids zu werten ist.

Des Weiteren versucht die Türkei, Drohungen gegenüber der armenischen Diaspora auszusprechen und Druck auf die Republik Armenien auszuüben, um die Tabuisierung der Völkermordthematik als Grundvoraussetzung für die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Armenien zu erzwingen.

Die Republik Aserbaidschan steht der Türkei in der Völkermordfrage in nichts nach und geht sogar einen Schritt weiter, indem es die Völkermordgelüste der Jungtürken im 21. Jahrhundert in Gestalt der militärischen Aggression gegenüber Berg-Karabach und Armenien fortsetzt. Die Hunger-Blockade, die Aserbaidschan gegen das friedliche Volk von Berg-Karabach (Arzach) seit dem 12. Dezember 2022 verhängt hatte, fand ihre Kulmination in der Aggression und der sich daran anschließenden ethnischen Säuberung Ende September 2023. Das Vorgehen verstieß gegen das Völkerrecht, verletzte die Menschenrechte unschuldiger Zivilisten, führte zum Tod hunderter Zivilisten, zur Vertreibung von mehr als 120.000 Menschen und verschärfte die Spannungen in einer ohnehin schon instabilen Region.

Der erste Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (2003-2012), Luis Moreno Ocampo, stellte in seinem Gutachten vom 7. August 2023 fest, dass Aserbaidschans Blockade allein den Tatbestand der UN-Genozidkonvention erfüllt. Deutschland hat die sich aus der Völkermordresolution vom 2. Juni 2016 ergebenden Erwägungen (Genozid-Anerkennung, Bekämpfung der Völkermord-Negierung sowie der Verhinderung des Völkermordes) nicht ernst genommen. Die Aserbaidschan-Affäre, zwielichtige Gasdeals mit Aserbaidschan und die ethnische Säuberung in Berg-Karabach erfolgten alle nach Erlass der Resolution von 2016. Zudem wurde der Genozid nicht in die deutschen Geschichtsbücher flächendeckend aufgenommen.

Die oben genannten Vorgänge verdeutlichen, dass die Völkermordproblematik aktueller denn je ist und auch im 21. Jahrhundert keine internationalen Garantien für die Verhinderung von Völkermord existieren. Umso mehr gilt es Völkermordleugnern und -tätern klare Grenzen zu setzen: Die Faktizität des Genozids ist weder bestreitbar noch verhandelbar.