RA Berj Derian

Wenig oder gar keine Beachtung findet die Tatsache, dass der vom Osmanischen Reich während des ersten Weltkrieges begangene Völkermord an den Armeniern auch aus Habgier begangen wurde. Der Völkermord bestand nämlich nicht nur aus einem Eingriff in das Leben, den Körper, die Gesundheit und Freiheit der Völkermordopfer, sondern auch aus einem Eingriff in das Eigentum und Erbrecht und damit aus einem Eingriff in das Vermögen der Völkermordopfer. Die Beweise für das Vorliegen eines Vermögensdelikts hat der Täter selbst geliefert.

Im Mai 1915 bestimmte die jungtürkische Regierung per Dekret, dass die Vermögenswerte der Armenier als aufgegebenes, zurückgelassenes und damit herrenloses Eigentum anzusehen seien. Am 27.05.1915 erließ das osmanische Reich das sog. Liquidationsgesetz, auf dessen Grundlage Vermögenswerte der armenischen Bevölkerung beschlagnahmt wurden. Mit Schreiben des Ministeriums für Handel und Agrarwirtschaft vom 01.01.1916 an im Osmanischen Reich geschäftstätige Banken, darunter die der Deutschen Bank und der Dresdner Bank gehörende Deutsche Orientbank mit 14 Niederlassungen im Osmanischen Reich, wies das Ministerium darauf hin, dass die osmanische Regierung nach dem Liquidationsgesetz eine Liquidationskommission eingerichtet und angeordnet hatte, dass alle Vermögenswerte der deportierten Armenier der Liquidationskommission zu dem Zweck zu übergeben seien, die Vermögenswerte bis zur Rückgabe an die deportierten Armenier zu sichern. Tatsächlich aber wurden die Vermögenswerte der Armenier zu Schleuderpreisen an die osmanische Bevölkerung „verkauft“. Aus dem Verkaufserlös sollten auch Forderungen der deutschen Gläubiger gegen deren armenische Schuldner befriedigt werden. Gläubiger waren etwa die Deutsche Bank, die Viktoria Versicherung und andere im Osmanischen Reich geschäftstätigen Unternehmen. Die Deutsche Bank erstellte eine Liste deutscher Gläubiger und sandte diese an das Auswärtige Amt in Deutschland mit dem dringenden Ersuchen, die Gefahr des Ausfalls der Forderungen deutscher Gläubiger durch entsprechende staatliche Maßnahmen gegenüber dem Osmanischen Reich zu beseitigen. Dies soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.

Die Beschlagnahme und Veräußerung der Vermögenswerte der Armenier durch das Osmanische Reich verletzte das Eigentum und auch das Erbrecht der armenischen Völkermordopfer. Das Erbrecht ist Vermögensrecht: Der Erblasser bestimmt durch Testament oder Erbvertrag, was nach seinem Tod mit seinem Vermögen geschehen, wer es in welchem Umfang erhalten soll (Testierfreiheit). Durch dessen Ermordung wurde ihm diese Testierfreiheit genommen und durch die Veräußerung sein Vermögen seinen Erben entzogen.

Diese Vermögensrechte haben Nachkommen der armenischen Völkermordopfer mit ihren Sammelklagen u.a. gegen die Deutsche Bank, Viktoria Versicherung AG, AXA S.A., New York Life Insurance Company, Republik Türkei, Zentralbank der Türkei und T.C. Ziraat Bankasi vor U.S.-amerikanischen Gerichten geltend gemacht. Im Ergebnis haben die Gerichte „politische“ und damit sachfremde Erwägungen herangezogen und abweisend entschieden, was nur einen Schluss zuläßt: Vor Gerichten der Großmächte, den Tätern eines Völkermordes, ist keine Gerechtigkeit zu erreichen. Das lehrt auch die Jahrtausende alte Geschichte der Straffreiheit von Großmächten. Daher müssen die Völker, die Opfer eines Völkermordes wurden, eigene Strafgesetze, Anklagebehörden und Strafgerichte schaffen und Großmächte anklagen.